Dringliche Motion derBDP-Grossräte Peter Eberhart, Erlenbach und Enea Martinelli, Interlaken

Einführung von «Wüsten» in der Akutversorgung im Kanton Bern?

Mit der Schliessung der Akutversorgung im Simmental und im Saanenland und wohl demnächst auch im Pays d’Enhaut verändert sich die Erreichbarkeit der Akutversorgung in diesem Gebiet dramatisch.

Ein Bürger von Gsteig bei Gstaad erreicht so das nächste Spital nach 72km bei einer Fahrzeit von knapp 90 Minuten. Das wäre in Fahrzeiten gerechnet in etwa das Gleiche wie wenn man einem Berner sagen würde er müsste sich wegen jedem Eingriff in Zürich versorgen lassen.

Mit dem Entscheid künftig in der Region Saanenland/Obersimmental auf die Akutversorgung zu verzichten, schafft man eine regelrechte «Wüste» der Akutversorgung und degradiert die Region so bezüglich der Gesundheitsversorgung zum Drittklassgebiet. Dies im krassen Gegensatz zur Gesundheitsoase in der Region Bern. Kein anderes Gebiet im Kanton wird derart schlecht versorgt sein. Kein anderes Gebiet im Kanton Bern weist derart grosse Distanzen zum nächsten Spital auf, auch nachdem dereinst die kleinsten Strukturen der Akutversorgung geschlossen werden.

In der Planungserklärung vier zur Versorgungsplanung 2011–2014 hat der Grosse Rat mit grossem Mehr verlangt, dass der Regierungsrat neben der Regel, dass 80 Prozent der Bevölkerung innerhalb von 30 Minuten in einem Spital sein müssen auch die maximal zumutbare Distanz von z.B. 50km festlegt. Dies ist bis heute nicht erfolgt, obwohl gerade dieser Punkt für die Akutversorgung im Simmental grösste Relevanz hat. Auch relevant ist die Ausgestaltung der Hilfsfristregel im Falle einer Schliessung eines Akutspitals. Hier muss zwingend als Gegenleistung die Hilfsfristregel 90/15 eingeführt werden.

Deshalb beauftragen wir hiermit den Regierungsrat, dass:

Die Spitalplanung so zu erfolgen hat, dass die bernische Bevölkerung maximal 50km Weg hat bis zum nächsten Spital. Die interkantonale Planung ist dabei mit zu berücksichtigen.

Den Spitalunternehmen den Dienst an der Bevölkerung angemessen vergütet wird, falls dieser Dienst in der betroffenen, mehr als 50km von der nächsten Einrichtung der Akutversorgung weg liegenden Region nicht kostendeckend erbracht werden kann.

Für die Region Oberes Simmental/Saanenland ist die Rettungsdienstregel 90/15 zwingend, auf den Zeitpunkt der ersten Schliessung eines Akutspitals in der Region zu realisieren.

Begründungen

Wie in einem Bericht von Prof. G. Domenighetti, und den Herren Wolff, Stähelin und Crivelli aus dem Jahr 2002 aufgezeigt wurde, ist es möglich, einen grossen Teil der Bevölkerung mit Spitälern im Einklang mit meiner ersten Forderung zu führen und die Spitalzahl in der Schweiz auf 30 zu reduzieren. In einigen nicht zentralen Gebieten kann die 50 km Regelung jedoch nicht eingehalten werden, so auch in der Region Simmental/Saanenland.

Deshalb braucht es hier eine spezielle Lösung, da ansonsten auch der verfassungsmässig und im KVG festgelegte Zugang zur Akutversorgung innert nützlicher Frist für eine ganze Region nicht mehr gewährleistet ist.

Zudem ist es eine gute Tradition in der Schweiz, dass Minderheiten geachtet werden, und dass man auf Minderheiten besonders Rücksicht nimmt. So zum Beispiel, Rücksichten betreffend den verschiedenen Sprachen in der Schweiz, oder Regelungen betreffend der ausländischen Bevölkerung oder den «Fahrenden».

Wo die Minderheiten jedoch nicht geschützt werden ist im Gesundheitswesen. Die medizinischen Leistungen in den Randgebieten werden weiter ausgedünnt. Der Hausärztemangel akzentuiert sich in diesen Gebieten besonders stark, und die Spitäler in diesen Gegenden stehen vor den Schliessungen. Mit jeder Schliessung sinkt die Attraktivität auch für die Hausarztmedizin insbesondere dann, wenn der Weg ins nächste Spital derart weit ist. Dies ist mit den z.T. riesigen Distanzen insbesondere im oberen Simmental und im Saanenland so.

Es wird auch kaum möglich sein in diesen Gebieten Dinge wie z.B. «integrierte Versorgung», «wohnortnahe Betreuung» etc. überhaupt nur ansatzweise zu diskutieren.

So werden künstlich Minderheiten generiert, die nicht nur benachteiligt sind punkto Verkehrserschliessungen oder Versorgung mit gewerblichen Betrieben und Detailhändlern, sondern auch im Gesundheitsbereich. Dies ist besonders bedenklich, denn es geht dabei teilweise um Leben und Tod. Der Minderheitenschutz darf gerade NICHT im Gesundheitsbereich aufgehoben oder gefährdet werden. Wenn die Bevölkerung im Bereich «Leib und Leben» eine starke Benachteiligung wahrnimmt, so besteht die grosse Gefahr, dass die Summe der Benachteiligungen, (Wegstrecken, Ärzte, Spitäler, Schulen, Lohn, Arbeitszeiten) zu Konflikten führt.

Es ist für uns völlig unhaltbar, dass der Minderheitenschutz in einem so zentralen Thema wie Gesundheitsschutz hier nicht stattfinden soll. Im Gesundheitsbereich darf es nicht erst- und zweit- oder gar drittklassige Gebiete geben, sondern dieser Bereich sollte im kantonalen Vergleich einem Mindestanspruch genügen, und dies grundsätzlich auf dem ganzen Gebiet und für die ganze Bevölkerung. (Klar definierte Ausnahmen sollten möglich sein.)

Die Diskussionen um die dezentralen Strukturen finden momentan primär im westlichen Oberland statt. Wenn aber die zu erwartende Strukturbereinigung weiter voranschreitet, so werden die identischen Diskussionen betreffend der zumutbaren Distanz im Berner Jura oder auch im Emmental stattfinden. Es ist deshalb sinnvoll, jetzt eine Distanz festzulegen, die der Bevölkerung maximal zumutbar ist und ihr dies auch mitzuteilen.

Peter Eberhart, Grossrat BDPEnea Martinelli, Grossrat BDP