Die zehn ältesten Weisstannen im Boltigwald sindgeschützt

Zu Besuch bei alten «Damen»

Dank Baumpatenschaften konnten im Boltigwald zehn der ältesten und mächtigsten Weisstannen des ganzen Berner Oberlandes geschützt und gegen die wirtschaftliche Nutzung erhalten werden. Waldpräsident Heinz Burri hat die altehrwürdigen Tannen, mit einem geschätzten Alter von 250–300 Jahren entdeckt und deren Schutz und Erhalt erwirkt. Diese Tannen standen also bereits im späten 18. Jahrhundert und «erlebten» Napoleon Bonaparte.

Zu Besuch bei alten «Damen»

Die 10 geschützten Weisstannen sind zwischen 250 und 300 Jahre alt, haben eine Höhe von über 50 Metern und stehen auf Boden der Bäuerten Boltigen und Simmenegg.

Am vergangenen Donnerstag, 9. Oktober, trafen sich bei der Boltigbrücke Heinz Burri (Waldpräsident Bäuert Boltigen), Heinz Jost (Revierförster), Hans Rudolf Karlen (Bäuertvogt der Bäuert Boltigen), Daniel Gerber (Bäuertvogt der Bäuert Simmenegg), Peter von Känel (Waldpräsident Bäuert Simmenegg) und Evelyn Coleman (Leiterin Waldabteilung 2, Amt für Wald des Kantons Bern) mit Dieter Kubli (Präsident der Stiftung Geschwister I & H), Irène Kubli (Mitglied des Stiftungsrates) und Dr. C.G. Mez (Stiftungs-Vizepräsident und -Jurist) mit Pressevertretern, zu einer Waldbegehung, um die ältesten Weisstannen des Berner Oberlandes in Augenschein zu nehmen. Am Fusse einer solchen geschützten Weisstanne mit Namen «Olga» erläuterten die engagierten Baumschützer, was es mit diesen «alten Damen des Waldes» auf sich hat.

Wie es zu diesen Patenschaftenkam

Nachdem Revierförster Heinz Jost die anwesenden Hauptakteure vorgestellt hatte, ging das Wort an Evelyn Coleman Brantschen als Abteilungsleiterin der Waldabteilung 2 (Frutigen, Obersimmental/Saanen) und höchste anwesende Försterin. Sie führte mit Charme und Humor durch das Programm dieser kleinen aber wichtigen Baumpatenschafts-Feier. Sie würdigte die Bäuerten als Jahrhunderte alte Institutionen, deren Aufgabe es schon immer gewesen sei Land und Waldungen zu pflegen. Offensichtlich hätten die Vorgänger in den betreffenden Bäuerten den Wert dieser Weisstannen bereits erkannt, denn sonst wären sie heute ja nicht mehr da. Nachdem Heinz Burri als hiesiger Waldpräsident diese alten Tannen entdeckt und sie Revierförster Heinz Jost gezeigt hatte, erkannte er den Wert dieser Weisstannen sofort und erachtete sie als erhaltenswert. Auch standen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Der Wald, als einst wertvolle Einnahmequelle der Bäuerten, werfe heute bei weitem nicht mehr so viel ab, wie noch vor einigen Jahrzehnten, erklärte Evelyn Coleman und sagte weiter: «Der Gürtel muss auch im Wald enger geschnallt werden.» Vor diesem Hintergrund sei es nicht selbstverständlich, dass Bäume in einem Nutzwald einfach stehen gelassen werden. Es war Initiant Heinz Burri ein wichtiges Anliegen, dass die Bewirtschaftung um die Bäume herum weiterhin möglich sein soll, was die Sache kompliziert und notabene verteuert. Evelyn Coleman bezeichnete es als «absoluten Glücksfall», dass die Stiftung Geschwister I & H aus Basel genau solche Anliegen unterstützt. Dank gebührt Revierförster Heinz Jost, der den Kontakt zur Stiftung hergestellt hatte.

Weisstannen sind mehr als nur Bäume

Für die nicht so waldkundigen Anwesenden ging Evelyn Coleman tiefer auf die Weisstannen ein und erklärte, was an den Bäumen schützenswert ist. Hauptunterschied zur deutlich stärker verbreiteten Fichte (Rottanne) ist die namensgebende weisse Färbung an der Unterseite der Nadeln der Weisstanne. Weitere äussere Erkennungsmerkmale sind die auf den Ästen «stehenden» Tannzapfen im Gegensatz zu den «hängenden» Zapfen der Fichte sowie die helle, silberne Färbung der Baumrinde, wogegen die Rinde der Fichte eher rötlich ist. Von dieser rötlichen Färbung des Stammes hat übrigens die Rottanne ihren Namen. Die Weisstanne sei bei den Holzverarbeitern in Verruf gekommen, weil sie nicht so viel einbringe, wie eine Fichte. Sie ist wirtschaftlich weniger interessant. Dennoch hat die Weisstanne viele gute Eigenschaften: Ihre Pfahlwurzel bohrt sich tief in die unteren Schichten des Bodens ein und verleiht der Tanne grosse Stabilität und hält den Boden besser zusammen, was gerade bei einer Hanglage wie man sie im Simmental häufig antrifft, besonders wichtig ist. So ist der Boden gerade bei einem Mischbestand in allen Schichten gut durchwurzelt. Die Weisstanne hat ausserdem die Fähigkeit, lange Jahre im Schatten als kleines Bäumchen zu überleben, um dann, wenn sie Licht und Platz bekommt, umso höher bis in die höchsten Schichten zu wachsen. So ist es nicht verwunderlich, dass alle zehn nun geschützten Weisstannen über 50 Meter hoch sind. So kommt der Weisstanne als Baumart im Schutzwald eine sehr wichtige Bedeutung zu. Auch ist sie weniger anfällig auf den Borkenkäfer. Eine Weisstanne kann sehr alt werden, man sagt bis zu 600 Jahren. So gesehen sind die nun geschützten Weisstannen im Boltigwald in den besten Jahren. Eine Weisstanne bietet ausserdem einen grossen Lebensraum für allerhand Tierarten. So habe man im Bayerischen Wald an einer Weisstanne 257 verschiedene Kleinlebewesen gezählt. Spechtlöcher bieten beste Nistmöglichkeiten für diverse Vogelarten und gute Verstecke für Fledermäuse. Zum Leidwesen der Weisstanne ist zu erwähnen, dass sie beim einheimischen Wild weit oben auf dem Speiseplan steht. So werden junge Weisstännchen oft gefressen, was es an manchen Orten schwierig macht, sie aufzuforsten. Eigentlich sollte es gerade hier, wo es doch einige grosse Weisstannen-Samenbäume gibt, wesentlich mehr haben. Zum Schluss ihrer Ausführungen würdigte Evelyn Coleman die Baumpatenschaften als wichtiges Zeichen für die Zukunft und dankte der Stiftung Geschwister I & H für ihr tolles Engagement. Den Abschluss dieses Besuches bei den «alten Damen» im Boltigwald bildete ein von der Bäuert Simmenegg gesponserter Apéro.

Wo stehen diese Weisstannen?

Acht dieser zehn geschützten Weisstannen stehen auf dem Gebiet der Bäuert Boltigen im Boltigwald und zwei weitere stehen ungefähr 1,5 km talauswärts auf dem Gebiet der Bäuert Simmenegg. Die Tannen sind mit Holztafeln gekennzeichnet, auf denen ihr Name steht. Wegweiser im Wald weisen auf sie hin. «Es mussten Frauennamen mit höchstens vier Buchstaben sein, sonst wären die Tafeln zu gross geworden», schmunzelte Heinz Burri, der die Namenstafeln selber hergestellt hat. Neben dem Namen werden auch Durchmesser (auf Brusthöhe gemessen), Umfang und Kubikmeter angegeben. Bei den Namen war es wichtig, dass es keine allzu modernen Frauennamen waren. So heissen die alten Damen «Olga», «Rosa», «Emma» usw. Tanne «Olga» steht am Wanderweg von der Boltigbrücke auf das Niederhorn. «Emma» und «Rosa» in unmittelbarer Nähe. Bei der Tanne «Olga» steht eine grosse Infotafel zum Thema «Baumpatenschaft – Ein Zeichen für Vielfalt im Wald» mit Infos zur Weisstanne als Baumart, als Wohnbaum und als Baudenkmal. Diese Tafel wurde von der Waldabteilung 2 des Amtes für Wald des Kantons Bern finanziert. Heinz Burri sagte, es laufen Bestrebungen mit dem örtlichen Tourismusverein, diese Tannen und ihre Standorte mittels eines Flyers oder dergleichen publik zu machen, denn er sei schon öfters gefragt worden, wo man diese alten ehrwürdigen Damen besuchen könne. Auch habe sich bereits eine Schulklasse, die aktuell das Thema Wald behandle, für eine Begehung angemeldet. Offensichtlich besteht an diesen Bäumen ein grosses Interesse in der Bevölkerung. Kerem S. Maurer